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Interview mit Jaap Blonk:

Unsinn sprengt Konventionen

Der niederländische Klangpoet Jaap Blonk präsentierte auf der öffentlichen Lesung des Bielefelder Colloquium Neue Poesie am 4. Mai 2001 im Bielefelder Rathaus seine lautpoetischen Arbeiten. Für Blonk, der auch als Musiker mit Gruppen wie BRAAXTAAL und Splinks arbeitet, war es der zweite Auftritt in Bielefeld. Wir unterhielten uns mit ihm über seine Erfahrungen mit dem Bielefelder Colloquium und die Arbeit des Lautpoeten.

Lili: Sie haben im letzten Jahr zum ersten Mal am Treffen des Colloquiums Neue Poesie in Bielefeld teilgenommen. Wie war Ihr Eindruck?

Jaap Blonk: Die Lesung am Abend hat mir sehr gut gefallen. Die meisten Lyriklesungen sind ziemlich langweilig, aber diese war eigentlich nie langweilig, was wohl daran liegt, daß die einzelnen Beiträge sehr kurz sind und eine große Vielfalt im Material und im Ausdruck existiert.

Lili: Ist diese öffentliche Lesung in Bielefeld vor sehr großem Publikum etwas besonderes für Sie?

Jaap Blonk: Ähnliches passiert schon bei größeren Festivals. Es gibt sogar Veranstaltungen, die noch größer sind. Meistens trete ich aber vor einem Publikum mit 50, bis maximal 200 Personen auf. Insofern ist es schon etwas besonderes.

Lili: Während die Lesung am Freitagabend traditionell öffentlich ist, findet die Arbeitstagung der Autoren unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Wie wichtig sind diese Werkstattgespräche für Sie?

Jaap Blonk: Das ist für mich sehr interessant. Es geht in diesen Gesprächen nicht so sehr darum, daß den anderen Mitglieder des Colloquiums meine Arbeiten gefallen. Ich bekomme dort aber viele Anregungen für meine Arbeit. Auch gestern habe ich wieder einiges in den Sitzungen herausgefunden. Es gibt für mich nicht so viele Gelegenheiten mit anderen Dichtern über meine Arbeit zu sprechen. Es ist sehr hilfreich, untereinander Stücke vorzustellen und ohne Publikum darüber zu reden.

Lili: Ihre Lautdichtung/Sound Poetry wurde in Bielefeld vom Publikum sehr positiv aufgenommen. Die Resonanz auf die Lautdichtung/Sound Poetry von Valerie Scherstjanoi und Ilse Garnier war ähnlich. Gibt es ein "Revival" dieser Literaturform?

Jaap Blonk: Ich glaube schon. Es wird auch immer mehr Lautpoesie in die Festivals der Neuen Musik einbezogen, wie in Witten, Donaueschingen und Musika Viva in München. Ich denke es gibt gerade in Deutschland ein Revival der Lautpoesie.

Ich selbst arbeite im gesamten Feld zwischen Literatur und Musik, dort wo beides überlappt. Es sind Sprachspiele, ganz abstrakte Klangstücke, und ich arbeite auch dort mit Musikern zusammen, die ihre Instrumente einbringen. Das Spiel mit der Sprache funktioniert natürlich eher im Holländischen. Es ist viel viel schwerer das in einer anderen Sprache zu machen, die nicht die Muttersprache ist. Es sind jetzt ein paar Texte von mir ins Deutsche übersetzt worden und ich hoffe, daß es noch mehr werden.

Lili: Wie entstehen Stücke wie "Der Minister". Läßt sich die Entwicklung planen oder ist sie eher Ergebnis spontaner Improvisation?

Jaap Blonk: Dieses Stück war Resultat eines spontanen Einfalls. Der Titel war eigentlich eine Schlagzeile in einer holländischen Zeitung: "De minister betreurt dergelijke uitlatingen", oder: "Der Minister bedauert derartige Äußerungen". Eigentlich soll mit so einer Aussage ja nicht gesagt werden, daß der Minister betrübt ist, sondern, daß er wütend ist. Es war schön, daß nach dem Colloquiums des letzten Jahres die Schlagzeile wieder in einer Zeitung, nämlich der Süddeutschen Zeitung gelandet ist. Fünfzehn Jahre nachdem ich diese Schlagzeile einer holländischen Zeitung für meine Arbeit benutzt hatte.

Lili: Notieren Sie die Lautpoesie, etwa in Lautschrift?

Jaap Blonk: Ja, ich habe eine eigene Lautschrift, die ich aus dem internationalen phonetischen Alphabet entwickelt habe, einige Zeichen habe ich selbst hinzugefügt. Es entstand eigentlich nur zur Unterstützung meines eigenen Gedächtnisses, die Notation ist noch nicht so exakt, daß andere sie benutzen könnten, wenn sie meine Stücke aufführen. Ich weiß auch noch nicht, ob ich das will. Vielleicht werde ich noch daran arbeiten und ein perfekteres System entwickeln.

Jaap Blonk: Vocalor, CD Lili: Sie haben auch schon Lautpoesie von anderen Autoren wie Ernst Jandl aufgeführt?

Jaap Blonk: Von Jandl nur wenig. Mehr von älteren Dichtern, wie Schwitters und Hugo Ball, Tristan Tzara, Velemir Chlebnikov und von einigen Leuten aus dem Fluxus Kreis.

Lili: War da Notation eine Hilfe für Sie?

Jaap Blonk: Es gab fast nur Textvorlagen, bei Schwitters "Ursonate" gab es einige Anweisungen. Ich hatte viele Freiheiten und konnte sehr intuitiv mit den Texten arbeiten. Ich habe meine eigenen Textversionen ausgearbeitet.

Lili: Entwickeln sich die Stücke mit der Zeit, gibt es Variationen?

Jaap Blonk: Ja, bestimmt. Es gibt Stücke bei denen die Entwicklung schon über zehn Jahre dauert und sich immer noch weiter vollzieht. Neue Techniken lassen sich einbeziehen. Viele Stücke führe ich auch nicht mehr auf, weil sie mir nicht mehr gefallen. Es gibt viele Stücke, die sich im Laufe der Jahre entwickeln.

Lili: Wie bereiten Sie ihre Performance vor. Läßt sich Sound Poetry trainieren?

Jaap Blonk: Heute Abend ging das nicht. Wenn ich eine längere Veranstaltung mit komplettem Abendprogramm gestalte, versuche ich vorher ein Warming Up für den Körper zu machen. Alle Muskeln werden gelockert und entspannt, die Stimme wird aufgewärmt. Heute Abend werde ich erstmal im Publikum sitzen und zuhören. Wenn ich dann meinen Auftritt habe, muß in den fünf bis sechs Minuten sofort alles stimmen. Solche Kurzauftritte mache ich ja ziemlich oft, zum Beispiel bei Eröffnungen von Ausstellungen, und da muß ich gleich voll da sein. Es ist nicht vergleichbar mit einem Jazzkonzert, wo man erst nach einer Viertelstunde richtig loslegen kann. Das geht heute natürlich nicht.

Lili: Werden Sie in Bielefeld ältere oder neue Arbeiten vorstellen? Woran arbeiten Sie zur Zeit?

Jaap Blonk: Heute Abend werde ich eine Homage an Antonin Artaud vorstellen. Dieses Stück ist aber schon älter. Ich arbeite zur Zeit vor allem an elektronischen Stücken, bei denen ich Samples mit einbeziehe und meine Stimmklänge elektronisch bearbeite.

Lili: Wer war Antonin Artaud?

Jaap Blonk: Er war ein Theaterpionier in Frankreich und surrealistischer Dichter. Antonin Artaud hat 10 Jahre von 1936 bis 1946 in einer psychiatrischen Klinik in Rodez, im südlichen Teil des Massif Central, verbracht. Dort hat er zahllose Hefte mit Aufzeichnungen geschrieben, die alle erst viel später beim Verlag Gallimard im Gesamtwerk Artauds veröffentlicht worden sind. In diesen Heften stehen in den französischen Texten viele verstreute Lautpoesiefragmente. Man sagt, Artaud hat diese Fragmente in seinem Zimmer in der Anstalt oft ganz alleine deklamiert, wobei er sich auf kleinen Trommeln begleitete. Von diesem Bild wurde meine "Hommage à A. A." angeregt, und sie ist natürlich auch in weiterem Sinne eine Homage an Artaud und sein Werk.

Lili: Bei Dichtern wie Antonin Artaud und Hugo Ball war die Kunstform auch immer Protest gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse und gegen das existierende Kunst- und Literaturverständnis. Glauben Sie, daß Poesie diese Aufgabe heute noch erfüllen kann? Sehen Sie sich mit Ihrer Arbeit in der Tradition dieser Dichter, die den Bruch mit den Konventionen anstrebten?

Jaap Blonk: Flux de Bouche, CD Jaap Blonk: Ich hoffe schon, daß Poesie Leuten die Augen immer noch öffnen kann, daß sie zum Beispiel zeigen kann, daß es auch Formen von Denken gibt, wo Ja und Nein einander nicht ausschließen, daß man durchaus auch sehr gewissenhaft eigene Regeln ausdenken kann - sei es für das Machen eines Kunstwerks, für das ethische Handeln usw. - und nicht ohne Reflexion die Gesetze hierarchischer Systeme, zum Beispiel von Religionen, übernehmen muß. Lautpoesie kann da eine besondere Rolle spielen, da sie mittels Unsinn doch sehr bedeutende Inhalte vermitteln kann. In dem Sinne sehe ich mich in dieser Tradition, in der Linie der Künstler die schon längst mit den Konventionen gebrochen haben, ja die die konventionellen Ausdrucksweisen für leer und bedeutungslos halten.

Lili: Können Sie von Ihrer Literatur leben?

Jaap Blonk: Ich lebe von den Auftritten, Auftragsarbeiten beim Rundfunk, ab und zu bekomme ich ein kleines Stipendium zur Komposition von Musik. Alles zusammen reicht gerade um davon zu leben.


Interview: Peter Brand









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